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Andromache

von Jean Racine, deutsch von Hanno Helbling

Mit Manuel Bürgin, Marcus Kiepe, Martin Rentzsch, Angelika Richter, Lena Schwarz, Maik Solberg

Inszenierung: Niklaus Helbling; Bühne: Dirk Thiele; Kostüme: Regine Standfuss; Musik: Jeroen Visser; Choreografie: Salome Schneebeli; Dramaturgie: Klaus Mißbach

Premiere: 5. Juni 2004, Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele

Fotos: Wilfried Böing

»Ein seltsam Ding, diese Inszenierung: Andere Regisseure hätten dem Beziehungslabyrinth der Vorlage aus dem 17. Jahrhundert Qualitäten einer Seifenoper abgewonnen oder das verbohrte Streben der Verstrickten als lächerlich decouvriert – in jedem Fall jedoch wäre dem übermächtigen Pathos der Alexandriner in Racines erster großen Tragödie schmunzelnd die Spitze abgebrochen worden. Niklaus Helbling scheut vor der großen Geste nicht zurück. Er nimmt den hohen Ton, der heute eine Leidensgeschichte fast unweigerlich zum Melodram werden lässt, auch in seinen vermeintlich schrillen Spitzen an und bindet ihn ein in sorgsam gesetzte Verfremdungen; diese stützen die allzu große Geste ab – wie die grotesken Krücken auf den Traumbildern eines Salvador Dali. Durch Helblings Regie entsteht im Geschlechterkampf zwischen Andromache und den anderen eine Schräglage, die waghalsig die Grenze zur Groteske auslotet, ohne sie je zu überschreiten. Niklaus Helbling verlegt den altgriechischen Reigen andeutungsweise in die 40er Jahre nach dem zweiten Weltkrieg: Das karge Bühnenbild mit Styropormauern von Dirk Thiele und die eleganten Kostüme von Regine Standfuss erleichtern den Zeitsprung. Auch in den Jahren nach der Befreiung von der Hitlerei zeigten die Frauen große Stärke. Das war im alten Hellas nicht anders: Die Männer reden, die Frauen handeln. Die Leidenschaften von Andromache und Hermione – atemstockend intensiv gespielt von Lena Schwarz und Angelika Richter – künden viel bestimmter von der Unbedingtheit der Gefühle als die emotionalen Sturheiten ihrer männlichen Gegenparts. Manuel Bürgin ist dabei eher ein aggressiver Hansdampf denn ein in den Wahnsinn fliehender Unglückswurm. Martin Rentzsch dagegen zeichnet mit kehliger Stimme überzeugend das Bild eines Regenten, der seine Kraft vornehmlich dafür benutzen muss, um seine Kraftlosigkeit zu überwinden. Zum Schluss überblickt Andromache ruhig das seelische (und anderweitige) Schlachtfeld: Überlebt sie, weil ihre Liebe einem Toten gilt?« Werner Streletz, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 6. Juni 2004

  • Beitrag veröffentlicht:5. Juni 2004